Religiöse Friedenswahrung und Friedensstiftung in Europa (1500-1800): Digitale Quellenedition frühneuzeitlicher Religionsfrieden

Woellnersches Religionsedikt (9. Juli 1788)


Text

Woellnersches Religionsedikt (9. Juli 1788)

1 [Blatt: 001] Edict,
2die
3Religions-Verfassung
4in den
5Preußischen Staaten
6betreffend.

7De Dato Potsdam, den 9. Julii 1788.

8Berlin,
9gedruckt bey Georg Jacob Decker und Sohn, Königl[icher] Geheim[er] Ober-Hof-Buchdrucker.

[Blatt: 002]

10 [Blatt: 003] Wir, Friedrich Wilhelm,
11von Gottes Gnaden König von
12Preussen, Marggraf zu Brandenburg
13etc. etc. etc.,

14Thun kund und fügen hiermit jedermann zu wissen, daß, nachdem Wir lange vor
15Unserer Thronbesteigung bereits eingesehen und bemerket haben, wie nöthig es dereinst
16seyn dürfte nach dem Exempel Unserer Durchlauchtigsten Vorfahren, besonders aber
17Unsers in Gott ruhenden Großvaters Majestät, darauf bedacht zu seyn, daß in den Preus--
18sischen Landen
die Christliche Religion der Protestantischen Kirche in ihrer alten ursprüng--
19lichen Reinigkeit und Aechtheit erhalten und zum Theil wieder hergestellet werde, auch
20dem Unglauben eben so wie dem Aberglauben, mithin der Verfälschung der Grundwahr--
21heiten des Glaubens der Christen und der daraus entstehender Zügellosigkeit der Sit--
22ten, so viel an Uns ist, Einhalt geschehe, und dadurch zugleich Unsern getreuen Untertha--
23nen ein überzeugender Beweis gegeben werde, wessen sie in Absicht ihrer wichtigsten An--
24gelegenheit, nehmlich der völligen Gewissensfreyheit, der ungestörten Ruhe und Sicher--
25heit bey ihrer einmal angenommenen Confession und dem Glauben ihrer Väter wie
26auch des Schutzes gegen alle Störer ihres Gottesdienstes und ihrer kirchlichen Verfassun--
27gen, zu Uns als ihrem Landesherrn sich zu versehen haben; Wir nach bisheriger Be--
28sorgung der dringendsten Angelegenheiten des Staates und Vollendung verschiedener
29 [Blatt: 004] nöthigen und nützlichen neuen Einrichtungen nunmehro keinen fernern Anstand nehmen,
30an diese Unsere anderweitige wichtige Regentenpflicht ernstlich zu denken und in gegen--
31wärtigem Edict Unsere unveränderliche Willensmeinung über diesen Gegenstand öffent--
32lich bekannt zu machen. Als

33§. 1.

34befehlen, wollen und verordnen Wir demnach, daß alle drey Haupt-Confessionen der
35Christlichen Religion, nehmlich die Reformirte, Lutherische und Römisch-Catholische,
36in ihrer bisherigen Verfassung nach den von Unsern gottseligen Vorfahren vielfältig er--
37lassenen Edicten und Verordnungen in Unsern sämmtlichen Landen verbleiben, aufrecht
38erhalten und geschützt werden sollen. Daneben aber

39§. 2.

40soll die den Preußischen Staaten von jeher eigenthümlich gewesene Toleranz der übrigen
41Secten und Religions-Partheyen ferner aufrecht erhalten und Niemanden der minde--
42ste Gewissenszwang zu keiner Zeit angethan werden, so lange ein jeder ruhig als ein guter
43Bürger des Staates seine Pflichten erfüllet, seine jedesmalige besondere Meinung aber
44für sich behält und sich sorgfältig hütet, solche nicht auszubreiten oder andere dazu zu
45überreden und in ihrem Glauben irre oder wankend zu machen. Denn, da jeder Mensch
46für seine eigene Seele allein zu sorgen hat, so muß er hierin ganz frey handeln können,
47und nach Unserm Dafürhalten hat ein jeder Christlicher Regent nur dahin zu sehen und
48dafür zu sorgen, das Volk in dem wahren Christenthum treu und unverfälscht durch Leh--
49rer und Prediger unterrichten zu lassen und mithin einem jeden die Gelegenheit zu ver--
50schaffen, selbiges zu erlernen und anzunehmen. Ob ein Unterthan nun aber diese gute,
51ihm so reichlich dargebotene Gelegenheit zu seiner Ueberzeugung nutzen und gebrauchen
52will oder nicht, muß seinem eigenen Gewissen völlig frey anheim gestellet bleiben.

53Die in Unsern Staaten bisher öffentlich geduldeten Secten sind, ausser der jüdischen
54Nation, die Herrenhuter, Mennonisten und die Böhmische Brüdergemeine, welche unter
55Landesherrlichem Schutz ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte halten und diese dem
56Staate unschädliche Freyheit ferner ungestört behalten sollen. In der Folge aber soll
57Unser geistliches Departement dafür sorgen, daß nicht andere, der Christlichen Religion
58und dem Staate schädliche Conventicula unter dem Nahmen gottesdienstlicher Ver--
59sammlungen gehalten werden, durch welches Mittel allerley der Ruhe gefährliche Men--
60schen und neue Lehrer, sich Anhänger und Proselyten zu machen, im Sinne haben
61möchten, wodurch aber die Toleranz sehr gemißbraucht werden würde. Wie Wir denn
62überhaupt

63§. 3.

64alles und jedes Proselytenmachen bey allen Confessionen ohne Unterschied ernstlich ver--
65bieten und nicht wollen, daß Geistliche oder andere Leute von verschiedenen Religions--
66partheyen sich damit abgeben sollen, ihre eigenthümlichen Lehrsätze und besondern Mey--
67nungen in Glaubenssachen denen, die nicht von ihrem Bekenntniß sind, entweder auf--
68zudringen oder sie auf irgend eine Weise zur Annehmung derselben zu verleiten und zu
69überreden und also die Gewissensfreyheit des andern zu beeinträchtigen. Ganz verschie--
70den hievon ist indessen der Fall, wenn jemand aus innerer, eigener, freyer Ueberzeugung
71für seine Person von einer Confession zur andern übergehen will, als welches einem jeden
72völlig erlaubt seyn und ihm darin kein Hinderniß in den Weg gelegt werden soll; nur
73ist ein solcher gehalten, dieses nicht heimlich zu thun, sondern zur Vermeidung aller
74Inconvenienzen in bürgerlichen Verhältnissen seine Religionsveränderung bey der Be--
75hörde anzuzeigen.

76 [Blatt: 005] §. 4.

77Da man auch dieses Proselytenmachen der Römisch-Catholischen Geistlichkeit von
78jeher Schuld gegeben hat und anjetzt von neuem verlauten will, daß verkleidete Catho--
79lische Priester, Mönche und verkappte Jesuiten in den Protestantischen Ländern heimlich
80umher schleichen, die sogenannten Ketzer zu bekehren, Wir aber dergleichen in Unserm
81Reiche durchaus nicht gestatten wollen, als verbieten Wir alles Ernstes dieses Proselyten--
82machen nicht nur ganz besonders der Catholischen Geistlichkeit in Unsern gesamten Staa--
83ten, sondern befehlen auch Unsern Oberconsistoriis wie nicht minder Unsern übrigen
84Dycasteriis, desgleichen allen Unsern getreuen Vasallen und Unterthanen in allen Stän--
85den genau Achtung zu geben, um solche Emissarien zu entdecken und hievon dem Geist--
86lichen Departement zur weitern Verfügung Nachricht zu geben.

87§. 5.

88So sehr Uns das Proselytenmachen bey allen Confessionen zuwider ist, indem es
89allerley verdrießliche Folgen bey der Volksmenge haben kann, so angenehm ist es Uns
90dagegen zu sehen, daß die Geistlichkeit sowohl als Personen weltlichen Standes, sie
91seyn Reformirte, Lutherische oder Römisch-Catholische Glaubensgenossen, dennoch bis--
92her verträglich und brüderlich in Absicht ihrer Religion mit einander gelebt haben;
93Wir ermahnen sie daher, diese gute Harmonie untereinander ferner sorgfältig zu bewah--
94ren, und werden niemals entgegen seyn, wenn die verschiedenen Confessionen sich in
95Absicht ihrer Kirchen und Bethäuser zu Haltung des öffentlichen Gottesdienstes oder
96auf andere Weise einander hülfliche Hand bieten, sondern es wird Uns sothane Ver--
97träglichkeit vielmehr allezeit zum besondern Wohlgefallen gereichen.

98§. 6.

99Wir verordnen zugleich, daß bey der Reformirten sowohl als Lutherischen Kirche
100die alten Kirchenagenden und Lithurgien ferner beybehalten werden sollen; nur wollen
101Wir bey beiden Confessionen nachgeben, daß die damals noch nicht ausgebildete deutsche
102Sprache darin abgeändert und mehr nach dem Gebrauch der jetzigen Zeiten eingerichtet
103werde, desgleichen einige alte außer wesentliche Ceremonien und Gebräuche abgestellet
104werden, als welches Unserm Geistlichen Departement beider Protestantischen Confessio--
105nen überlassen bleibt. Dieses Unser Geistliches Departement hat aber sorgfältig dahin
106zu sehen, daß dabey in dem Wesentlichen des alten Lehrbegriffs einer jeden Confession
107keine weitere Abänderung geschehe. Dieser Befehl scheinet Uns um so nöthiger zu
108seyn, weil

109§. 7.

110Wir bereits einige Jahre vor Unserer Thronbesteigung mit Leidwesen bemerket haben,
111daß manche Geistliche der Protestantischen Kirche sich ganz zügellose Freyheiten in Ab--
112sicht des Lehrbegriffs ihrer Confession erlauben, verschiedene wesentliche Stücke und
113Grundwahrheiten der Protestantischen Kirche und der Christlichen Religion überhaupt
114wegläugnen und in ihrer Lehrart einen Modethon annehmen, der dem Geiste des wah--
115ren Christenthums völlig zuwider ist und die Grundsäulen des Glaubens der Christen
116am Ende wankend machen würden. Man entblödet sich nicht, die elenden, längst
117widerlegten Irrthümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten und anderer Secten mehr
118wiederum aufzuwärmen und solche mit vieler Dreistigkeit und Unverschämtheit durch
119den äußerst gemißbrauchten Namen
120Aufklärung
121unter das Volk auszubreiten, das Ansehen der Bibel, als des geoffenbarten Wortes
122Gottes, immer mehr herabzuwürdigen und diese göttliche Urkunde der Wohlfahrt des
123Menschengeschlechtes zu verfälschen, zu verdrehen oder gar wegzuwerfen, den Glauben
124an die Geheimnisse der geoffenbarten Religion überhaupt und vornehmlich an das Ge--
125 [Blatt: 006] heimniß des Versöhnungswerks und der Genugthuung des Welterlösers den Leuten ver--
126dächtig oder doch überflüßig, mithin sie darin irre zu machen und auf diese Weise dem
127Christenthum auf dem ganzen Erdboden gleichsam Hohn zu bieten. Diesem Unwesen
128wollen Wir nun in Unsern Landen schlechterdings um so mehr gesteuert wissen, da Wir
129es für eine der ersten Pflichten eines Christlichen Regenten halten, in seinen Staaten die
130Christliche Religion, deren Vorzug und Vortrefflichkeit längst erwiesen und außer allen
131Zweifel gesetzt ist, bey ihrer ganzen hohen Würde und in ihrer ursprünglichen Reinigkeit,
132so wie sie in der Bibel gelehret wird und nach der Ueberzeugung einer jeden Confession
133der Christlichen Kirche in ihren jedesmaligen Symbolischen Büchern einmal vestgesetzt ist,
134gegen alle Verfälschung zu schützen und aufrecht zu erhalten, damit die arme Volksmenge
135nicht den Vorspiegelungen der Modelehrer preiß gegeben und dadurch den Millionen
136Unserer guten Unterthanen die Ruhe ihres Lebens und ihr Trost auf dem Sterbebette
137nicht geraubet und sie also unglücklich gemacht werden.

138§. 8.

139Als Landesherr und als alleiniger Gesetzgeber in Unsern Staaten befehlen und
140ordnen Wir also, daß hinführo kein Geistlicher, Prediger oder Schullehrer
141der protestantischen Religion, bey unausbleiblicher Cassation und nach Befinden
142noch härterer Strafe und Ahndung, sich der im vorigen §. 7 angezeigten oder noch
143mehrerer Irrthümer in so fern schuldig machen soll, daß er solche Irrthümer
144bey der Führung seines Amtes oder auf andere Weise öffentlich oder heimlich aus--
145zubreiten sich unterfange. Denn so wie Wir zur Wohlfahrt des Staates und zur Glück--
146seligkeit Unserer Unterthanen die bürgerlichen Gesetze in ihrem ganzen Ansehen aufrecht
147erhalten müssen und keinem Richter oder Handhaber dieser Gesetze erlauben können, an
148dem Inhalt derselben zu klügeln und selbigen nach seinem Gefallen abzuändern, eben
149so wenig und noch viel weniger dürfen Wir zugeben, daß ein jeder Geistlicher in Reli--
150gionssachen nach seinen Kopf und Gutdünken handele und es ihm freystehen könne, die
151einmal in der Kirche angenommenen Grundwahrheiten des Christenthums das Volk so
152oder anders zu lehren, sie nach bloßem Willkühr beyzubehalten oder wegzuwerfen, die
153Glaubensartikel nach Belieben in ihrem wahren Lichte vorzutragen oder seine eigenen
154Grillen an ihre Stelle zu setzen. Es muß vielmehr eine allgemeine Richtschnur, Norma
155und Regel unwandelbar fest stehen, nach welcher die Volksmenge in Glaubenssachen
156von ihren Lehrern treu und redlich geführet und unterrichtet werde, und diese ist in Unsern
157Staaten bisher die christliche Religion nach den drey Haupt-Confeßionen, nemlich der
158reformirten, lutherischen und römischkatholischen Kirche, gewesen, bey der sich die Preus--
159sische Monarchie
so lange immer wohl befunden hat, und welche allgemeine Norma selbst
160in dieser politischen Rücksicht, durch jene so genannten Aufklärer nach ihren unzeitigen
161Einfällen abändern zu lassen, Wir im mindesten nicht gemeynet sind. Ein jeder Lehrer
162des Christenthums in Unsern Landen, der sich zu einer von diesen drey Confeßionen be--
163kennet, muß und soll vielmehr dasjenige lehren, was der einmal bestimmte und festge--
164setzte Lehrbegriff seiner jedesmaligen Religions-Parthey mit sich bringet, denn hiezu ver--
165bindet ihn sein Amt, seine Pflicht und die Bedingung, unter welcher er in seinem be--
166sondern Posten angestellet ist. Lehret er etwas anders, so ist er schon nach bürgerlichen
167Gesetzen straffällig und kann eigentlich seinen Posten nicht länger behalten. Unser ern--
168ster Wille ist daher auf die Festhaltung dieser unabänderlichen Ordnung gerichtet, ob
169Wir schon den Geistlichen in Unsern Landen gleiche Gewissensfreyheit mit Unsern übrigen
170Unterthanen gern zugestehen und weit entfernt sind, ihnen bey ihrer innern Ueberzeugung den
171mindesten Zwang anzuthun. Welcher Lehrer der christlichen Religion also eine andere Ueber--
172zeugung in Glaubenssachen hat als ihm der Lehrbegriff seiner Confeßion vorschreibt, der kann
173diese Ueberzeugung auf seine Gefahr sicher behalten, denn Wir wollen uns keine Herr--
174 [Blatt: 007] schaft über sein Gewissen anmaßen; allein selbst nach seinem Gewissen müßte er aufhö--
175ren, ein Lehrer seiner Kirche zu seyn, er müßte ein Amt niederlegen, wozu er sich selbst
176aus obiger Ursache unbrauchbar und untüchtig fühlet. Denn der Lehrbegriff der Kirche
177muß sich nicht nach der jedesmaligen Ueberzeugung dieses oder jenes Geistlichen richten,
178sondern umgekehrt, oder es kann von Rechtswegen ein solcher Geistlicher nicht mehr das
179seyn und bleiben, wofür er sich ausgiebt. Indessen wollen Wir aus großer Vor--
180liebe zur Gewissensfreyheit überhaupt anjetzt insofern nachgeben, daß selbst die--
181jenigen bereits in öffentlichem Amte stehende Geistlichen, von denen es auch bekannt
182seyn möchte, daß sie leider! von denen in §. 7 gemeldeten Irrthümern mehr oder weni--
183ger angesteckt sind, in ihrem Amte ruhig gelassen werden, nur muß die Vorschrift des
184Lehrbegriffs ihnen bey dem Unterricht ihrer Gemeinden stets heilig und unverletzbar blei--
185ben; wenn sie hingegen hierinn Unserm landesherrlichen Befehl zuwider handeln und
186diesen Lehrbegriff ihrer besondern Confeßion nicht treu und gründlich, sondern wohl gar
187das Gegentheil davon vortragen, so soll ein solcher vorsetzlicher Ungehorsam gegen diesen
188Unsern landesherrlichen Befehl mit unfehlbarer Cassation und noch härter bestraft werden.

189§. 9.

190Unser geistliches Departement, sowol der Reformirten als Lutherischen Confeßion,
191erhält also hiedurch den gemessensten Befehl, stets ein offenes Auge auf die gesammte
192Geistlichkeit in Unsern Landen zu haben, damit jeder Lehrer in Kirchen und
193Schulen seine Schuldigkeit thun und dasjenige, was in vorhergehenden §. 8 ge--
194sagt worden ist, auf das genaueste beobachte, und müssen bey beiden Protestantischen
195Confeßionen die jedesmaligen Ministres und Chefs dieses Departements Uns dafür ein--
196stehen und haften, weil Wir es ihnen auf ihr Gewissen binden und Uns übrigens völlig
197auf sie verlassen, daß sie als treue Diener des Staates über die Aufrechthaltung dieses
198landesherrlichen Edicts, bey Vermeidung Unserer höchsten Ungnade, stets wachen werden.

199§. 10.

200Dem Vorigen gemäß befehlen Wir also den jedesmaligen Chefs der beiden geist--
201lichen Departements so gnädig als ernstlich, ihre vornehmste Sorge dahin gerichtet seyn
202zu lassen, daß die Besetzung der Pfarren sowol als auch der Lehrstühle der Gottesge--
203lahrtheit auf Unsern Universitäten, nicht minder der Schul-Aemter durch solche Subjecte
204geschehe, an deren innern Ueberzeugung von dem, was sie öffentlich lehren sollen, man
205nicht zu zweifeln Ursache habe; alle übrige Aspiranten und Candidaten aber, die andere
206Grundsätze äußern, müssen und sollen davon ohne Anstand zurück gewiesen werden, als
207worinn Wir besagten beiden Ministres stets freye Macht und Gewalt lassen wollen.

208§. 11.

209Nachdem aus allen diesem sattsam erhellet, daß es Uns ein großer Ernst ist, die
210christliche Religion in Unsern Staaten aufrecht zu erhalten und so viel in Unserm Ver--
211mögen stehet, wahre Gottesfurcht bey dem Volke zu befördern, so ermahnen Wir alle
212Unsere getreue Unterthanen, sich eines ordentlichen und frommen Wandels zu befleißigen,
213und werden Wir bey aller Gelegenheit den Mann von Religion und Tugend zu schätzen
214wissen, weil ein jeder Gewissenloser und böser Mensch niemals ein guter Unterthan und
215noch weniger ein treuer Diener des Staates weder im Großen noch im Kleinen seyn
216kann.

217§. 12.

218Da die Feyer und Heiligung der Sonn- und Festtage in verschiedenen Edicten
219Unserer gottseligen Vorfahren, in dem Edict d[e] d[ato] 17ten December 1689 und in dem
220Patent d[e] d[ato] 24sten Junii 1693, desgleichen in dem Edict d[e] d[ato] 28sten October 1711
221und d[e] d[ato] 10ten Februar 1715, auch in der Declaration dieses Edicts d[e] d[ato] 18ten Aug[ust]
2221718, bereits anbefohlen worden ist, so sollen sothane Edicte im Ganzen betrachtet keines--
223 [Blatt: 008] weges aufgehoben seyn; Wir behalten Uns aber vor, durch ein besonderes Policey--
224Gesetz nach dem Verhältniß der gegenwärtigen Zeiten das nähere zu verordnen und
225festzusetzen.

226§. 13.

227Der geistliche Stand soll von niemand verachtet und gering geschätzet oder gar ver--
228spottet werden, als welches Wir jederzeit höchst mißfällig vermerken und dem Befinden
229nach nicht ungeahndet lassen werden, weil dieses nur gar zu oft einen unvermeidlichen
230Einfluß auf die Verachtung der Religion selbst hat. Wir werden vielmehr auf das
231Wohl rechtschaffener Lehrer und Prediger bey aller Gelegenheit besondere Rücksicht neh--
232men, und um ihnen davon sogleich einen Beweis zu geben, wollen Wir das von Unsers
233in Gott ruhenden Großvaters Majestät erlassene Edict d[e] d[ato] 14ten October 1737, die
234Befreyung ihrer Kinder vom Soldatenstande betreffend, hiemit erneuern und dahin be--
235stimmen, daß alle Prediger-Söhne überhaupt, desgleichen die Söhne der Schul-Col--
236legen in den Städten, wo Cantons sind, wenn sie sich den Wissenschaften oder auch
237den bildenden Künsten, desgleichen dem Commercio widmen, darunter begriffen seyn
238sollen. Wofern sie hingegen Handwerke oder eine andere Lebensart erwählen oder aber
239als Studirende nichts gelernt haben und nach dem Examine abgewiesen werden, so
240soll jene Befreyung wegfallen; und werden Wir das Nöthige dieserhalb an die Regi--
241menter zu ihrer Achtung in den Cantons erlassen.

242§. 14.

243Schließlich befehlen Wir Unsern sämtlichen Dicasteriis, desgleichen allen übrigen
244Obrigkeiten geistlichen und weltlichen Standes in Unserm Königreiche und gesamten
245Staaten, ob diesem Edict mit aller Strenge und Aufmerksamkeit zu halten; Für die
246übrige Geistlichkeit aber und alle Unsere getreue Vasallen und Unterthanen verordnen
247Wir, sich in ihren jedesmaligen Verhältnissen darnach zu achten, und geschiehet dadurch
248Unser so ernstlicher als gnädiger Wille. Gegeben Potsdam, den 9ten Julii 1788.

249Friedrich Wilhelm.

250L[ocus] S[igilli]



251v[on] Carmer; v[on] Dörnberg; v[on] Woellner.


Friedrich Wilhelm II., König in Preußen
Anm.: Markgraf von Brandenburg
weiterführende Informationen
Friedrich Wilhelm I., König in Preußen
Anm.: Markgraf von Brandenburg
weiterführende Informationen
Johann Heinrich Casimir von Carmer, Graf
Anm.: Staatsmann und Justizminister im Königreich Preußen
weiterführende Informationen
Wolfgang Ferdinand von Dörnberg, Freiherr
Anm.: Staats- und Justizminister im Königreich Preußen
weiterführende Informationen
Johann Christoph von Woellner
Anm.: Staats- und Justizminister und Chef des geistlichen Departements im Königreich Preußen
weiterführende Informationen
Preußen, Königreich (auch:Preußische Staaten)
weiterführende Informationen
Brandenburg, Markgrafschaft